Freitag, 2. Januar 2009

Das Rätsel von San Lorenzo



Rätselhafter Kultursprung vom Steinzeitbauern zur Hochkultur

In: Sagenhafte Zeiten, Nr. 2, Beatenberg 2006

Vor etwa 3500 Jahren (1) befand sich Mittelamerika im Stadium einer jungsteinzeitlichen Phase mit Jägern und Sammlern, Fischern und Bauern. Während zuvor auf einem anderen Kontinent schon großartige Pyramiden erbaut worden waren und eine Megalithkultur mit astronomischen Anlagen geglänzt hatte, lebte man in Mittelamerika noch in kleinen Dorfgemeinschaften, bestellte Felder, zog auf die Jagd, fischte in den Flüssen und sammelte Nüsse und Wurzeln. Die Siedlungen bestanden aus einfachen Behausungen, die man aus Lehm, Holz und Stroh erbaute. Man webte Stoffe aus Baumwolle und Pflanzenfasern, flocht Körbe und Matten und stellte einfache Gebrauchskeramik her. Werkzeuge und Waffen bestanden aus Stein, Knochen, Holz oder Muscheln. Seit langer Zeit verstanden es diese Steinzeitbauern zudem, Latex in eine brauchbare Form von Gummi zu verwandeln (2). In allen Regionen Mittelamerikas waren diese einfachen Leute bestens an die jeweilige Landschaft und das Klima angepasst.

Kulturrevolution bei den Olmeken

In dieser Zeit gab es anscheinend auch keine Religion in Mittelamerika. Götter? Himmelswesen? Davon hatte offenbar hier kein Mensch eine Ahnung. Der einzige Hinweis auf eine mögliche Religion sind die kleinen Keramikfigürchen, meist weibliche Gestalten darstellend, aber allesamt mit ganz normalen alltäglichen Merkmalen. Diese Figurinen könnten eine Rolle gespielt haben bei Fruchtbarkeitsriten oder im Sinne von Ahnenverehrung. Doch das ist reine Spekulation. Ebensogut könnten diese Figurinen auch ganz einfach nur Kunst dargestellt haben, denn die meisten wurden im Bereich des Alltagshaushalts gefunden (1 + 10).

Unter diesen Steinzeitbauern gab es - soweit wir heute wissen - keine Elite, keine Herrscher, keine Klassenunterschiede (3). Allenfalls mag es Dorfhäuptlinge gegeben haben oder besser gesagt Familienvorsteher, denn Siedlungen mit im Durchschnitt nicht mehr als vierzig Bewohnern können kaum mehr als Großfamilien beherbergt haben.

Alles in allem: eine primitive Kultur, perfekt an Land und Klima angepasst. Es gab keinen Grund, an diesem Erfolgsrezept etwas zu ändern. Es wäre zu erwarten gewesen, dass sich im Laufe der Zeit kleine Verbesserungen entwickelt hätten beim Hausbau, im Feldbau oder bei Waffen und Werkzeugen. All dies wäre langsam, Schritt für Schritt erfolgt, so wie man es von einer "normalen, anständigen Kultur" zu erwarten hat.

Doch statt dessen geschah etwas ganz anderes. Es geschah etwas, das die Archäologen Mittelamerikas noch immer rätseln lässt, obwohl sie dafür längst einen Namen haben: sie reden von einem Kultursprung. Nun kann ein Volk nicht einfach einen Kultursprung machen und dabei etliche Entwicklungsstufen auslassen. Wir wissen jedoch aus unserer jüngeren Vergangenheit, dass ein Kultursprung sich dort ereignet, wo Vertreter einer weiter entwickelten Kultur mit Vertretern einer primitiveren Kultur zusammentreffen (4). Doch wer oder was sollte vor so langer Zeit in Mittelamerika einen solchen Kultursprung ausgelöst haben?

Stadtplanung

Ca. 1200 v.Chr., während rundum einfache Steinzeitbauern ihren gewohnten alltäglichen Verrichtungen nachgingen, brach an einem Platz nahe der Flüsse Coatzalcoalcos und Chiquito unterhalb der Golfküste hektische Betriebsamkeit aus mit Aktivitäten, wie sie Mittelamerika noch nie zuvor gesehen hatte. Irgendjemand hatte hier ganze Scharen von Arbeitskräften versammelt und ließ diese eine exakt vorgeplante Stadt erbauen, bei der nichts dem Zufall überlassen wurde. Selbst die Stelle, an der diese Stadt erbaut werden sollte, war zuvor sorgfältig ausgewählt worden, und zwar so, dass man von ihr aus die Sonne am Datum der Wintersonnenwende genau über dem etwa 100 Kilometer entfernten Vulkan Zempoaltepec am Horizont untergehen sah. San Lorenzo war das erste Beispiel einer erst in jüngerer Zeit erkannten Berg-Sonne-Stadt-Kombination, die danach noch in gut dreißig weiteren Städten berücksichtigt werden sollte (6).

Die Arbeit begann mit dem Auftürmen eines riesigen künstlichen Plateaus, das als Basis für die Stadt dienen sollte. Die Erde für dieses Plateau musste Korb für Korb herbeigetragen werden und dies mit reiner Muskelkraft, denn Tragetiere gab es nicht. Für das Plateau wurden gut drei Millionen Kubikmeter Erde herbeigeschleppt und verarbeitet, wobei man vorhandene Erdstrukturen geschickt integrierte. Die Arbeit verlief unter strenger Kontrolle, denn dieses Plateau bekam - so vermuten inzwischen mehrere Archäologen - die Form eines riesigen Vogels (5). Erkennbar war diese Vogelform für keinen der Arbeiter gewesen, für keinen der Stadtbewohner und auch für keinen, der auf dem Fuss- oder Wasserweg Anreisenden, man hätte diese Form allenfalls von oben, aus dem Luftraum, erkennen können.

Wer aber überwachte und kontrollierte die Arbeitermassen und das genau Einhalten dieser eigenwilligen Form? Das fertige Plateau maß etwa 1,2 Kilometer in der Länge und an die 700 Meter in der Breite. Es ragte zuletzt gut 50 Meter in die Höhe.

Nach Fertigstellung des Plateaus begann der eigentliche Stadtbau. Es wurden erstmals große Plattformen aus Sand und Lehm erbaut, auf denen dann die einfachen Behausungen nach altem Muster errichtet wurden. Die Stadt - heute San Lorenzo benannt - erhielt öffentliche Plätze, einen - vielleicht den allerersten - Ballspielplatz; an den Schrägen des Plateaus standen auf Terrassen weitere Wohnbauten bis hinunter zum Flusstal. Die gesamte Stadt war so arrangiert, dass sie sich entlang einer exakt von Norden nach Süden verlaufenden Hauptachse orientierte (5 + 7).

Der Ort erhielt ein System aus steinernen Wasserleitungen und zwanzig künstlichen, symmetrisch angeordneten Teichen, deren Bedeutung noch unklar ist. Für die Wasserleitungen wurden Bauteile aus Basaltgestein hergestellt - also erstmals Stein für Bauzwecke bearbeitet. Diese Bauteile waren lang-rechteckig mit U-förmiger Ausbuchtung, die dann passgenau aneinandergefügt und zuletzt mit ebenfalls angefertigten Basaltsteinplatten abgedeckt wurden. Das Wasserleitungssystem, von dem bereits 170 Meter wiedergefunden werden konnte, führte in etlichen Metern Tiefe unter der Erde durch verschiedene Stadtteile. Allein die Hauptwasserleitung bestand aus über 30 Tonnen Basalt (5 + 7).

Doch wer zeigte den einfachen Steinzeitbauern, wie man Steine bearbeitet, passgenaue Bauteile herstellt und ein kompliziertes Wasserleitungssystem plant und anlegt? Wer überwachte die Arbeiten und die genaue Einhaltung der Baupläne? Hier wurde so gut gearbeitet, dass intakt gebliebene Teile noch heute - nach über 3000 Jahren - nach heftigen Regenfällen das Wasser weiterleiten.

Ein ganz wichtiger Aspekt dieser ersten mittelamerikanischen Stadt waren die zahlreichen Werkstätten. In der Tat setzte nun die Herstellung bestimmter Dinge ein, wie sie noch nie zuvor in Mittelamerika hergestellt worden waren: monumentale Steinobjekte, eine neue Art von Keramik, neuartige Keramikfigurinen und rätselhafte Objekte aus Eisenerz.




Ausgegraben in den 1940er Jahren: Kolossalkopf in SanLorenzo

Fast jeder hat schon einmal ein Foto gesehen mit einem der olmekischen Kolossalköpfe. Bislang wurden siebzehn dieser Köpfe entdeckt und ausgegraben, die meisten in San Lorenzo, einige wenige in späteren Städten (8). Möglicherweise wurden alle siebzehn Köpfe (weitere mögen noch unentdeckt sein) bereits in San Lorenzo hergestellt, denn neuere archäologische Forschungen ergaben, dass all diese Steinköpfe in einem - archäologisch gesehen - kurzen Zeitraum von 100 bis 150 Jahren hergestellt wurden (7).

Neben den Kolossalköpfen wurden riesige eckige Steinobjekte hergestellt, die von den Archäologen mangels Kenntnis über deren Zweck als "Altäre" oder "Throne" bezeichnet wurden. Beide - Kolossalköpfe und "Throne" - wurden nach der Fertigstellung so aufgestellt, dass sie Teil des komplizierten Layouts der Stadt waren.

Die Masterplaner muteten ihren Arbeitern viel zu. Das Material, vulkanisches Basaltgestein, musste aus den fernen Tuxtla-Bergen nahe der Golfküste herangeschafft werden über eine Entfernung von gut 100 Kilometern. Heute, wo nur wenige moderne Kräne imstande sind, solche Lasten wie diese bis zu 44 Tonnen (in fertig bearbeitetem Zustand) schweren Basaltsteinblöcke zu heben und zu transportieren, fragen sich die Archäologen noch immer, wie dieser Transport zur Zeit von San Lorenzo bewerkstelligt worden sein mag.




Transport eines Monumentalobjektes heute und damals:
rechts hebt ein moderner Kran einen Kolossalkopf,
links eine spekulative Zeichnung über den Transport eines "Thrones"

Wurden die, wie man inzwischen weiß, an Ort und Stelle nur roh zugehauenen Steinblöcke von riesigen Teams entlang der Golfküste transportiert, dann auf Flössen über Flüsse weitergebracht und zuletzt noch auf das 50 Meter hohe Plateau hinaufgehievt? Mit wievielen Menschen? Mit welchen Hilfsmitteln? Diese Transportfrage ist bis heute ungeklärt. Der Arbeitsaufwand für den Transport und die Herstellung allein der bisher gefundenen über 80 Monumente San Lorenzos muss enorm groß gewesen sein.




Einer der "Altäre" oder "Throne" aus San Lorenzo

Wie viele Monumente mögen hier noch auf ihre Entdeckung warten? In San Lorenzo wurde erst ein kleiner Teil der Ruinenstätte ausgegraben, so wie auch alle späteren olmekischen Städte noch nicht vollständig ausgegraben sind. Es gibt noch keine endgültige und genaue Übersicht über die Bauwerke und Monumente.

Was aber stellen diese bis gut drei Meter großen Kolossalköpfe dar? Jeder Kopf trägt einen Helm und individuelle Züge. Die Spekulationen drehen sich um "negroide Züge oder nicht", "Baby-Faces", Portraits von Personen mit Down-Syndrom-Merkmalen, Götterköpfe, übernatürliche Wesen, Herrscherportraits und Portraits von Ballspielern (Gummiball-Idole sozusagen) (1 + 9).

Was das Ballspiel anbelangt, so könnte man spekulieren angesichts der Tatsache, dass diese Menschen schon lange vor dem Kultursprung Gummibälle besaßen und wohl auch mit ihnen etwas unternahmen, dass die unbekannten Masterplaner und Kultursprunginitiatoren die gebeutelten Arbeitermassen vielleicht mit "Brot und Spielen" bei der Stange hielten.

Ebenso unklar wie die Bedeutung der Kolossalköpfe ist der Sinn der "Altäre" oder "Throne", der riesigen schreibtischförmigen Steinblöcken mit Rückwand und mit einer in einer Nische sitzenden Person, die oftmals ein Kind - meist ein Hybride aus Jaguar und Mensch - in den Armen hält (11 + 12). Was diese Plastiken eigentlich vorstellen sollen, ist völlig unbekannt. "Throne" oder "Altäre" wurde sie lediglich spekulativ von den Archäologen anhand des guten alten "Sieht-am-ehesten-aus-wie"-Prinzips getauft.

Eine olmekische Höhlenmalerei in Oxtotitlan, datiert auf die Zeit kurz nach San Lorenzo, zeigt eine menschliche Figur, die auf etwas sitzt, das der Oberseite dieser "Throne" verblüffend ähnelt. Diese Person ist in einer "Vogelverkleidung" mit Flügeln und Vogelmaske dargestellt, wie sie so oft in der Zeit nach San Lorenzo vorkommen sollte. Die Bedeutung: ebenfalls unbekannt (13 + 14).

Rätselhafte Funde

Es ist schon merkwürdig genug, dass hier in San Lorenzo Menschen, die zuvor ein einfaches Steinzeitbauernleben fristeten, mit einem Mal arbeitsaufwendige Steinmonumente herstellten, doch noch viel merkwürdiger ist die Massenanfertigung rätselhafter kleiner Gegenstände aus Ilmenit, und dies in einer Größenordnung von Hunderttausenden völlig identischer Objekte.

Ilmenit ist ein Eisenerz, ein Oxid aus Eisen und Titan (FeTiO3), und es hat magnetische Eigenschaften. Das Material holten die San Lorenzaner wahrscheinlich aus weit entfernten Abbaustellen in Chiapas und Oaxaca, um es dann in ihrer Stadt in den Werkstätten wie am Fließband zu kleinen länglichen identischen Objekten von ca. 1,5 Zentimetern Länge zu verarbeiten. Jedes Teilchen bekam drei Löcher mit einem Durchmesser von 0,5 bis 1,5 Zentimeter - und alle genau an derselben Stellen.




In San Lorenzo in Massenanfertigung hergestellt: Objekte aus Ilmenit

Bei den Ausgrabungen in San Lorenzo wurden nach Schätzungen der Archäologin Ann Cyphers mehr als acht Tonnen dieser kleinen Ilmenit-Teilchen gefunden, gut 150.000 Stück allein an einer einzigen Stelle. Ein ganzer Haufen davon war neben einem der Kolossalköpfe vergraben worden, mehr als zehntausend fand man im Vorort Loma del Zapote (einer Lagerstadt drunten im Tal) sowie Tausende umfassende Haufen an anderen Fundstellen (5 + 7).

Den Archäologen, die sich mit diesen Ilmenit-Teilchen befassten, ist völlig unklar, wie und womit die Löcher in die eckig-zylindrischen Objekte hineingebohrt wurden. Ein Experiment des Forschers Robert Velazquez Cabrera (15) ergab eine Bohrzeit von acht Stunden für ein einziges Loch mit einem modernen elektrischen Bohrer. Cabrera ist der Ansicht, die manuelle Herstellung der Bohrlöcher müsste wohl jeweils Wochen, wenn nicht sogar Monate gedauert haben, geht man von den den Olmeken zugestandenen Werkzeugen aus. Erschwerend für die Herstellung sei noch hinzugekommen, so Cabrera, dass diese Objekte bei der Bearbeitung überhaupt nicht günstig in der Hand lagen.

Doch für welchen Zweck wurden diese unzähligen Ilmenit-Teilchen hergestellt? Warum gerade aus diesem Material? Was soll das sein? Prof. Michael Coe (5) tippte auf "mehrlöchrige Perlen", sich dabei aber bewusst seiend, dass diese Erklärung keinen Sinn macht. Wozu gleich drei Löcher? Wenn doch für eine Kette oder Kordel ein Loch genügt hätte? Andere Spekulationen drehten sich um Hilfsmittel zum Feuerbohren, um Fischnetzgewichte, Teile von Wurfpfeilen, Teile von Werkzeugen, Teile von Rüstungen, Ritualobjekte und Hilfsmittel für Arbeiten, die mit Drehen oder Rotieren zu tun haben wie beim Spinnen oder Seilherstellen. Doch die meisten dieser Funktionen hätten nur ein Loch benötigt. Die Herstellung allein der jeweils drei Löcher war aber extrem schwierig und arbeitsaufwendig, man hätte wohl kaum überflüssige Löcher gebohrt.

Die witzigste Spekulation (15) dreht sich um die Vorstellung, dies seien Musikinstrumente gewesen, eine Art Pfeife. Man stelle sich nur einmal das riesige San Lorenzo-Blasorchester vor, um zu sehen, dass diese Spekulation absurd ist. Nirgends fanden die Ausgräber den kleinsten Hinweis auf die einstmalige praktische Verwendung dieser Objekte. Sie lagen einfach nur in großen Haufen von den Olmeken absichtlich vergraben unter der Erde. Vielleicht hat ja einer der Leser der "Sagenhaften Zeiten" eine Idee, was diese Ilmenit-Teilchen gewesen sein könnten?

High Tech-Spiegel

Ebenso rätselhaft wie der Zweck der Ilmenit-Objekte ist der der angeblichen Spiegel. San Jose Mogote war eine der Werkstatt-Außenstellen zur Zeit der Olmeken in Oaxaca. Hier ließen offenbar die Masterplaner massenweise konkav geschliffene, meist runde scheibenartige Objekte herstellen, die von den Archäologen der ausgezeichneten Spiegeleigenschaften wegen denn auch als "Spiegel" interpretiert wurden. Hier schufteten wie am Fließband nicht Angehörige der heute als Olmeken bezeichneten Steinzeitbauern, sondern Angehörige der als Zapoteken bezeichneten Steinzeitmenschen, angesiedelt in einer großen Arbeitersiedlung mit rechteckigen Häusern, öffentlichen Gebäuden, Wassergraben und Ballspielplatz.

Diese "Spiegel", die wohl außerdem auch noch in San Lorenzo hergestellt wurden, bestanden aus Magnetit, Hämatit und Ilmenit (spätere Imitationen aus Jade ließen sich nicht annähernd so glänzend polieren), also Eisenerz.




Einer der olmekischen "Spiegel": bis heute gute Spiegeleigenschaften

Diese Objekte sind von einer erstaunlich hohen Qualität, hergestellt mit einer Technologie, die nach den Olmeken, Zapoteken und zeitlich späteren Teotihuacanos (ca. 100 v.Chr.) verloren ging. Auch diese Gegenstände waren nicht leicht herzustellen, es sind handwerkliche Meisterstücke. Sie wurden perfekt zugeschliffen, die meisten konkav (nach innen gewölbt), in einer runden, ovalen oder abgerundeten eckigen Form. Doch womit war geschliffen worden? Noch so genaue Untersuchungen haben bislang keine Schleifspuren identifizieren können. Eine solche Qualität kann eigentlich nur mit moderner Technologie erreicht werden durch eine Kombination aus Polieren und Ätzen. Was benutzte man damals als Bearbeitungsmaterial? Wir haben keine Ahnung.

Die Größe der Objekte variierte von daumennagelgroß bis hin zu ca. 15 Zentimetern Durchmesser. Waren diese Spiegel zur Selbstbetrachtung hergestellt worden? War es Schmuck? Figurinen und Steinmonumente zeigen spiegelähnliche Objekte am Kopf oder - meist - an der Brust von Menschen, häufig Personen mit "supernaturalen" Merkmalen wie stark verlängerte Schädel oder Jaguarmenschendetails, die typischen Motive, die erstmals ab San Lorenzo auftauchten. Was sollte die konkave Oberfläche bündeln? (16 + 17 + 18)

Die "Spiegel" und die Ilmenit-Teilchen haben eines gemeinsam: beide wurden in großen Mengen hergestellt (die Ilmenit-Teilchen in sehr großen). Und bei beiden ist der Gebrauchszweck völlig unbekannt.

Massenweise wurde anscheinend in San Lorenzo auch neuartige Keramik hergestellt (in erster Linie Serviergefäße), mit der dann Außenstellen wie San José Mogote oder die Siedlung in den Tuxtla-Bergen, die den Abbau und Abtransport der Basaltsteinblöcke besorgte und kontrollierte, ausgestattet wurden. Angesichts der Tatsache, dass die maximale Bevölkerung von San Lorenzo auf wenig mehr als tausend Menschen geschätzt wird - 2500 mit den wenigen Vororten im Flusstal drunten - ist es mysteriös, wie so wenige Menschen so viel haben leisten können (5).

All dies - die neuen Techniken zur Bearbeitung von Basaltgestein und Eisenerz, die neue Keramik, das Know how zum Bau einer großen Stadt auf einem künstlichen Plateau und einem bis ins Detail vorgeplanten Layout - all dies soll ein Steinzeitbauer mit Führungsqualitäten und frischen Ideen ins Leben gerufen haben? Ohne Vorbild, ohne technische Revolution? Nie und nimmer!

Die Archäologen schwärmen begeistert von einer Präklassik-Revolution (1) oder einem mittelamerikanischen Wunder (19). Diese Kultur begann urplötzlich. Diese Kultur begann voll entwickelt mit all dem nötigen Know how für all ihre Teilbereiche. Hier ist wie aus dem Nichts heraus eine Entwicklungsstufe präsent, für die man nach Meinung der Experen Hunderte von Jahren gebraucht hätte, um sie Schritt für Schritt zu erreichen. Doch bei den Olmeken war alles plötzlich da. Was könnte eine Gemeinschaft von Bauern, Fischern und Jägern in eine Gemeinschaft einer Hochkultur mit Elite und Spezialarbeitern verwandelt haben? Niemand hat bisher eine Erklärung dafür. San Lorenzo war damals einzigartig, und alles spätere in der Kultur der Olmeken, der Maya usw. ging von hier aus, ganz ohne Vorbilder oder Vorläufer.

Die Masterplaner

Wer waren die Masterplaner, die all dies initiiert hatten? Kamen sie aus einem anderen Land, von einem anderen Kontinent oder von noch weiter her? Warum stellten die San Lorenzaner und die späteren Olmeken in ihrer Kunst Mischlinge dar zwischen Mensch und Jaguar? Warum stellten sie daneben Personen dar, die extrem verlängerte Schädel aufweisen, ein Merkmal, das später die Maya künstlich hervorrufen sollten? Sind all die "Jaguarschnauzen" an menschlichen Gesichtern gar keine solchen, sondern nur die künsterlische Umsetzung von etwas anderem?



Der berühmte "Astronaut von El Baul": ein Beispiel für die olmekischen Jaguarmenschen

Vielleicht sind dies die Vorläufer der "Windmaske" des Sky Lord 9 Wind / Gott Quetzalcoatl, wie einige Forscher vermuten (9 + 10 + 12)? Man erinnere sich an den berühmten "Astronauten von El Baúl (= eine frühe Olmekenstadt) mit seiner Jaguarschnauze am Helm! Übrigens gehört auch El Baúl zu den Berg-Sonne-Stadt-Kombinationen wie San Lorenzo.

Jaguarmenschen und Langschädler: Stellten die Olmeken etwas dar, das sie selbst sahen oder etwas, was sie sich nur vorstellten? Wichtig und auffallend ist, dass diese Ikonographie erst auftaucht ab der Zeit San Lorenzos. Das kann kein Zufall sein. Und es muss auch etwas bedeuten, dass die Ikonographie in der Zeit nach San Lorenzo Menschen (oder Götter?) mit Merkmalen wie Flügel oder Vogelmasken ausstattete, herabstürzende Götter darstellte sowie zahlreiche Himmelssymbole und die Idee einer Reise in den Himmel sogar architektonisch umsetzte.

Zerstörungswut ?

Das Ende von San Lorenzo ist ebenso rätselhaft wie der Anfang. Noch einmal - ca. 950 v.Chr. laut Michael Coe (5) - kam es zu arbeitsaufwendigen Aktivitäten, auf die sich die Archäologen keinen Reim machen können. Die Stadtbewohner fingen an, ihre Steinmonumente absichtlich und systematisch zu beschädigen. Noch heute künden davon zahlreiche Kratzer, Löcher, Schlagspuren, Rillen und Abbruchstellen. Vielfach waren den Monumenten die Köpfe abgeschlagen worden, egal ob Jaguarmensch oder Person in "Thronnische". An anderen Monumenten waren die Gesichtspartien zerstört oder ganze Teile abgebrochen worden. "Throne" waren in Stücke zerbrochen, so auch Säulen und andere noch ungedeutete Objekte. Monumente waren mit Äxten, Beilen und Hämmern traktiert und mit Steinen beworfen worden. Einige Monumente müssen sogar auf Gerüste oder hohe Gestelle gehievt und dann auf andere Monumente herabgeworfen worden sein. Das ist nach Ansicht von Michael Coe die einzig mögliche Erklärung für einige der großen abgebrochenen Teilstücke.

Besonders mysteriös ist die Tatsache, dass all die abgebrochenen Köpfe und anderen Teile bis heute nicht wiedergefunden werden konnten. Warum auch immer dies Zerstörungswerk unternommen wurde, es wurde ein enormer Aufwand an Zeit, Energie und Arbeitskraft investiert.

Diese Monumente sind sehr groß, und Basalt ist ein hartes Gestein (5). Immer mehr Archäologen zweifeln daran, dass hier ein Fall von Wut oder Randale vorliegt. Es ist viel komplizierter, denn anschließend wurden die Monumente sorgfältig und nach Plan vergraben, und dies entlang schnurgerader imaginärer Linien, jeweils eine kunterbunte Mischung aus Kolossalköpfen, "Thronen", kopflosen Jaguarmenschen, Wasserleitungsbauteilen, Säulenfragmenten und anderem - allesamt mit Beschädigungsspuren. Es wurde noch nicht alle Linien exakt identifiziert, doch kann man schon sagen, dass einige kardinal ausgerichtet waren. Das Vergraben dieser Monumente in einer Tiefe bis zu sechs Metern muss ebenfalls sehr arbeitsaufwendig gewesen sein, zumal man bei vielen Monumenten außerdem noch sorgfältig vorbereitete farbige Sandböden vorfand bei den Ausgrabungen (5 + 7).

Gab es einen simplen, praktischen Zweck für diese Aktionen? War dies eine Art Lager oder eine Art Museum - doch für wen und für wann? Auch in der Zeit nach San Lorenzo wurden in anderen Städten - sowohl der Olmeken als auch der Maya - immer wieder seltsame Depots angelegt, in denen massenhaft Artefakte vergraben wurden. Eine Erklärung dafür gibt es noch nicht.

Der Beginn der Kultur der Olmeken mit San Lorenzo und damit Mittelamerikas stellt eines der großen noch ungelösten Rätsel der Vergangenheit dar (20 + 12 + 22). Vielleicht kann man der Lösung dieses Rätsels nur näher kommen, wenn man den prä-astronautischen Aspekt mit einbezieht. Unbekannte "Masterplaner" verursachten nicht nur hier einen Kultursprung, sondern auch an anderen Orten und zu anderen Zeiten. Wer waren sie und woher kamen sie? Von einer anderen Welt - oder aus einer anderen Zeit?

Literatur

1 = Coe, Michael / Richard Diehl: In the Land of the Olmec. Austin 1980

2 = Prehistoric Polymers: Rubber Processing in Ancient Mesoamerica. In: Journal of Science, Vol. 284, Juni 1999

3 = Grove, David C. / Rosemary A. Joyce: Social Patterns in Pre-Classic Mesoamerica. Washington, D.C., 1999

4 = Dopatka, Ulrich: Lexikon der Prä-Astronautik. Wien, Düsseldorf 1979

5 = Coe, Michael: San Lorenzo and the Olmec Civilization. Washington, D.C., 1970

6 = Malmström, Vincent H.: Land of the Fifth Sun: Mexico in Space and Time. Hannover, New Hampshire, 2002

7 = Cyphers, Ann: From Stone to Symbols: Art in Social Context at San Lorenzo Tenochtitlan. In: Grove / Joyce: Social Patterns in Pre-Classic Mesoamerica. Washington, D.C., 1999

8 = www.cultures.com/contest/heads/em_al.html

9 = Blomster, Jeffrey P.: What and where ist Olmec Style? In: Ancient Mesoamerica, Nr. 13, 2002

10 = Taube, Karl A.: Olmec Art at Dumbarton Oaks. Washington, D.C., 2004

11 = Grove, David C.: Olmec Altars and Myths. In: Archaeology, Nr. 26, 1973

12 = Coe, Michael: Olmec Jaguars and Olmec Kings. In: E.P. Benson: The Cult of the Feline. Washington, D.C., 1970

13 = www.utexas.edu/cofa/a_ah/dir/preco/oxtotitlan.htm

14 = Reilly III., F. Kent: Visions to Another World. Dissertation Austin 1994

15 = Cabrera, Roberto V.: A Magical Aerophone from the Olmec Infraworld? 13rd Meeting of the Acoustical Society of America, Pittsburgh, Juni 2002

16 = Flannery, Kent V.: The Olmec and the Valley of Oaxaca. Washington, D.C., 1999

17 = Heizer, Robert / J.G. Gulberg: Concave Mirrors of the Site of La Venta, Tabasco. In: E.P. Benson: The Olmec and their Neighbours. Washington, D.C., 1981

18 = Lunazzi, José J.: On the Quality of the Olmec Mirrors and its Utilization. Guanajuato 1955

19 = Lavin, Kimberly: The Olmecs: A Mesoamerican Wonder. http://facweb.stvincent.edu/academics/religiousstu/writings/lavin1.htm

20 = Noble, John W.: Mother Culture, of Only a "Sister"? The New York Times, 15. März 2005

21 = Noble, John W.: Mystery of the Olmecs endures. The New York Times, 21. April 2005

22 = Joyce, Rosemary / David C. Grove: Asking New Questions about the Mesoamerican Pre-Classic. www.doaks.ofg/social/social08.pdf

























































































































Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen