In: Sagenhafte Zeiten, Nr. 1 / 2008, Beatenberg, Schweiz, 2008
Immer wieder führte die Entdeckung von Schriftzeichen in Mittelamerika zu Sensationsmeldungen und zur Rückdatierung der Zeit, in der dort die erste Schrift entwickelt wurde. Im September 2006 verblüfften die Medien weltweit mit neuen Schlagzeilen um eine älteste Schrift Mesoamerikas, diesmal gefunden auf dem sog. Cascajal-Stein. Der Fund dieser Schriftzeichen ist nicht nur von enormer Wichtigkeit für die Archäologie, sondern auch für die Paläo-SETI-Forschung.
Noch vor wenigen Jahren galt unter Altamerikanisten die Meinung, Schrift habe sich in Mesoamerika erst in der Zeit nach der olmekischen Kultur entwickelt. Als früheste Schriftzeichen galten Funde aus Oaxaca, die man in die Zeit von 300 v.Chr. datiert hatte. 1998 begann ein Team von Archäologen unter der Leitung von Mary Pohl, Kevin Pope und Christopher von Nagy in San Andres mit Ausgrabungen.
San Andres war vor gut 3000 Jahren eine Art Vorort von La Venta gewesen und gehörte damit in die zweite Phase der Olmekenkultur ab ca. 900 v.Chr. Eine typisch bäuerliche Siedlung konnte San Andres nicht gewesen sein, denn hier wurden übergroße Serviergefäße ausgegraben und viel mehr Trink- und vor allem Lagergefäße, als dies für die Größe der Siedlung nötig gewesen wäre. Beim Graben in den ehemaligen Behausungen machten die Forscher eine unerwartete und sensationelle Entdeckung. Sie fanden einen Rollzylinder, der offenbar Schriftzeichen trug, sowie an einer anderen Stelle zwei Fragmente einer Grünsteinplakette, in die Schriftzeichen eingraviert worden waren. (1 + 2)
Rollzylinder aus San Andres + Grünsteinfragmente aus San Andres
Olmeken, ca. 900 v.Chr.
Zunächst datierte das Ausgrabungsteam diese Fundstücke auf ca. 300 v.Chr., passend zum Zeitrahmen, der die Oaxaca-Schrift als die älteste festlegte. Als dann die Fundstücke im Labor mittels eines Radiokarbontests datiert wurden, stellte sich zur Verblüffung der Wissenschaftler heraus, dass diese Schriftzeichen mehr als dreihundert Jahre älter waren (1 + 2).
Vier Jahre später veröffentlichte das Team die Forschungsergebnisse im Magazin Science und löste damit zumindest in der Fachwelt eine Sensation aus (3). Sollten die Olmeken schon so früh eine Schrift benutzt haben? Gerade eben hatte man noch gestaunt über gut 2000 Jahre alte Glyphen und Kalenderdaten in Tres Zapotes, Chiapa de Corzo und El Mirador - etliche der dort gefundenen Zeichen hatten jeweils eine gewisse Zeit lang für sich beansprucht, das älteste bekannte Long Cont-Datum Mittelamerikas zu sein -, dann hatte man sich mit dem Gedanken angefreundet, dass es bereits 300 v-Chr. in Oaxaca Schriftzeichen gegeben hatte. Doch nun gab es auf einmal eine Schrift, die Hunderte von Jahren älter war!
Die Zeichnung einer Abrollung des Zylinders aus San Andres zeigt dies: Da kommt ein Text aus einem Vogelschnabel hervor, an die Sprechblasen unserer modernen Comics erinnernd. Kevin Pope war davon überzeugt, dass hier gesprochene Sprache dargestellt werden sollte. Deutlich erkennt man das später von den Maya benutzte Zeichen "Ahau" für "Herrscher", kombiniert mit drei Punkten = Drei Ahau. Drei Ahau kann sowohl eine Namensbezeichnung sein, als auch ein Tagesname des 260-Tages-Kalender. Neben diesen beiden Zeichen sieht man eine Art umgedrehtes "U", dessen Bedeutung unbekannt ist. Unter diesem Zeichen dann ein langgestrecktes "m" - ein Vorläufer des späteren Maya-Himmelsbandes. Des weiteren gibt es noch einen Strich, einen Haken und Zeichen, die an die späteren Sprachvoluten der Bilderhandschriften erinnern (1 + 2).
Rollout des Zylinders aus San Andres
Niemand hat bislang eine Ahnung, wofür dieses Rollsiegel einst benutzt wurde. Die Archäologen machten mehrere Vorschläge: War es ein Königssiegel, oder war es ein Stempel für alltägliche Gegenstände? Kevin Pope vermutete, dass die Olmeken Tinte oder Puder benutzt haben könnten, dann den Zylinder über eine Oberfläche rollten, über ein Stück Gewebe oder Rindenpapier oder auch über die nackte Haut (1 + 2).
Die beiden Grünsteinfragmente mit Schriftzeichen waren in dem Bezirk San Andres' gefunden worden, wo die übergroßen Getränkeserviergefäße lagerten. Man sieht folgende Zeichen: ein doppeltes Oval mit einem Punkt und ein umzirkeltes "Himmelssymbol" mit zwei Linien darunter. Das Doppel-Oval erinnert an ein späteres Tageszeichen der Maya (1 + 2).
Auch in La Venta selbst gab es weitere Beispiele für Schriftzeichen. Sie befanden sich auf einem Monument und auf einem Altar oder Thron (oder was auch immer dieser dekorierte Steinblock vorstellt). Auf dem Altar sieht man ein Gesicht mit einer Maske, daneben eine menschliche Figur mit drei rund-rechteckigen Glyphen, die aus dem Mund herauskommen. Hier soll wohl ebenso Sprache dargestellt sein wie auf dem Rollzylinder von San Andres. Artefakte mit ähnlichen Schriftzeichen wie in La Venta wurden auch an anderen olmekischen Orten gefunden, alle zeitgleich mit dieser Stadt (4).
Schon 2002 war Mary Pohl nicht allein mit ihrer Vermutung, dass der Beginn der Schrift Mittelamerikas schon viel früher zu datieren sein müsse. Ihrer Meinung nach könnten die Olmeken bereits eine Schrift in San Lorenzo gehabt haben (2). San Lorenzo war die erste Stadt, die die Olmeken direkt nach ihrem unerklärlichen und plötzlichen Kultursprung - vom Steinzeitbauern zur Hochkultur - erbauten um 1200 v.Chr. (5). Noch waren keine Beweise für diese Vermutung gefunden worden, doch das Rollsiegel und die Grünsteinplakette aus San Andres hatten gezeigt, dass die Hauptbestandteile der mittelamerikanischen Schrift hier bereits vorhanden waren: eine Kombination aus piktographischen und glyphischen Elementen sowie der Gebrauch des 260-Tages-Kalender und die Verbindung von Schrift und Kalender. Hinweise auf Vorformen dieser Schrift oder Belege für eine Entwicklung hin zu ihr waren nirgends gefunden worden. Wo hatte sich diese Schrift entwickelt? Die Archäologen waren ratlos.
Doch dann kam der Cascajal-Stein. 1999 fanden Arbeiter in einem Steinbruch in Süd-Veracruz, Mexiko, wieder einmal etliche Artefakte. Der Steinbruch, in dem Material gewonnen wurde für den Straßenbau, befand sich nahe der Siedlung Lomas de Tacamichapa und umfasste auch eine archäologische Stätte - Cascajal -, die durch die jahrelangen Abbauarbeiten schon arg gelitten hatte.
Hier befand man sich mitten im Herzland der Olmekenkultur und in Sichtweite der Ruinen der ersten olmekischen Stadt San Lorenzo. Hier, in Cascajal, hatte es zwei Besiedlungen gegeben: einmal zur Zeit von San Lorenzo zwischen 1200 - 900 v.Chr., dann noch einmal viel später während der sog. Terminal Classic-Zeit zwischen 800 - 900 n.Chr. Die vier Mounds und eine Plaza, durch die sich die Baumaschinen gnadenlos hindurchbewegten, stammten aus der Terminal Classic-Zeit.
An diesem Platz waren schon oft Artefakte gefunden worden, doch diesmal war ein so außergewöhnlicher Fund darunter, dass ein paar Authoritäten des nahen Jaltipan sich entschlossen, ihn dem National Institute of Anthropology and History of Mexico zu melden. Man rief dort an und kam ins Gespräch mit Carmen Rodriguez Martinez und Ponciano Ortiz, einem Archäologen-Ehepaar.
Die beiden Forscher reisten im April 1999 zur Fundstätte, um den beschrifteten Stein zu begutachten und zu fotografieren. Sie waren zunächst verblüfft und ratlos, dann jedoch regelrecht schockiert, als ihnen klar wurde, dass dieses Fundstück zusammen mit Artefakten gefunden worden war, die eindeutig aus der Zeit San Lorenzos stammten - und somit aus der ältesten Zeit der mittelamerikanischen Kulturen. Rein rechtlich gesehen gehörte der Stein der Siedlung, auf deren Boden er gefunden worden war, doch man erlaubte den Wissenschaftlern gerne, ihn zu untersuchen und im Labor zu analysieren.
Als sich nach und nach herauskristallisierte, mit was für einem sensationellen Fund man es hier zu tun habe, suchten die beiden Forscher jahrelang vor Ort nach weiteren Artefakten in der Hoffnung, mehr Fragmente mit Schriftzeichen zu finden. Vergebens. Gleichzeitig luden sie mehrere Kollegen und Fachleute ein, ihnen bei der Untersuchung des Cascajal-Steines zu helfen. Sie wandten sich an Koriphäen wie Michael Coe, Stephen Houston, Richard Diehl und andere Experten für alte Schriften bzw. die Olmeken-Kultur. Auch diese Forscher waren überrascht und verblüfft: Sollte man hier tatsächlich die ältesten Schriftzeichen Mesoamerikas gefunden haben? Es galt nun vor allem zwei Fragen zu beantworten: Aus welcher Zeit stammte der Stein? Und: Was stand auf dem Stein geschrieben?
Der Stein ist ein 36 mal 21 mal 13 cm großer Block aus grünlichem Serpentin, er wiegt ca. 12 Kilogramm und hat fünf konvexe und eine konkave Seite. Für die beschriftete, leicht nach innen gewölbte Seite hatte das Forscherteam zwei Erklärungen: entweder war diese Seite zum beschriften vorbereitet und geglättet worden oder - und das klang viel aufregender - hier waren mehrmals Schriftzeichen aufgebracht, wieder entfernt und dann neue Zeichen eingraviert worden. Ein Vorläufer des modernen Schreibblocks - so witzelte einer der Archäologen. Stephen Houston schwärmte: "Das ist verrückt! Nie zuvor habe ich etwas ähnliches gesehen!" (6)
Der Cascajal-Stein: rechts eine Skizze der eingravierten Zeichen
Der Text besteht aus 28 verschiedenen Zeichen, insgesamt einen 62 Zeichen langen Text ergebend. Diese Zeichen scheinen standardisiert und zu wort- oder satzähnlichen Gruppen geordnet zu sein. Stephen Houston, der die Schrift eingehend analysierte, meinte: "Die lineare Anordnung, die Regelmäßigkeit der Zeichen und das klare Muster der Ordnung sagen mir, dass dies eine Schrift ist, doch wir wissen nicht, was da steht." (7)
Die Zeichen stehen in horizontalen Reihen, und das ist außergewöhnlich, da dies unüblich ist für mittelamerikanische Texte. Die Lese- und Schreibrichtung der Zeichen ist noch nicht völlig klar. Manche Zeichen sehen aus wie Fische, Insekten, Pflanzen, Muscheln, Perlen und anderes. Einige der Zeichen sind einzigartig, da sie nirgendwo anders im Text vorkommen. Das Zeichen Nr. 11 (s. Abb.) ähnelt dem späteren Himmelsband-Zeichen, während die Zeichen 24 und 25 nach Meinung von Karl A. Taube an ein Motiv erinnern, das auf olmekischen Äxten zu finden ist und ein stilisiertes Gesicht eines Jaguarmenschen oder Gottes darstellt. Die Zeichen 12, 16 und 20 gibt es als Motive auf Monumenten in San Lorenzo (8).
Das Forscherteam hatte sogar herausgefunden, dass dieser Text durch nur eine Person, aber mit zwei verschiedenen Werkzeugen aufgebracht worden war. Ein stumpferes Werkzeug hatte für die Umrisslinien gedient, während ein schärferes Steinwerkzeug für die feineren Details innerhalb der Schriftzeichen benutzt worden war.
Da der Text noch nicht entziffert werden konnte, rätseln die Forscher nun, was er beinhalten könnte. Eine Überlieferung? Die Schilderung eines wichtigen Ereignisses? Oder hat der Text einen wirtschaftlichen Hintergrund und bildet eine Liste von Dingen, den Bau oder den Transport von Waren betreffend? Besonders das Fehlen dazugehöriger Bilder oder Darstellungen macht die Entzifferung des Textes schwer (8). Michael Coe meinte resigniert, es sei unwahrscheinlich, dass der Text jemals gelesen werden könne. "So etwas ist schon schwierig genug, wenn man hunderte von Stücken hat, und wir haben nur eines!" (7)
Einig waren sich die Forscher vor allem in einem Punkt: es besteht kein Zweifel darüber, dass es sich um eine echte Schrift handelt, und nicht um eine nicht mit einer Sprache verwandte Ikonographie. Der Anthropologe Saturno, der den Stein ebenfalls analysierte, meinte: "Das ist geschriebene Sprache." (9) "Wir wussten, dass die Olmeken eine sehr hochentwickelte Kunst und Ikonographie hatten", so Karl A. Taube, "doch dies ist der erste wirkliche Beweis dafür, dass sie auch aufgeschriebene Sprache kannten." (9)
Doch wie alt war dieser Stein? Trug er wirklich die ältesten Schriftzeichen Mittelamerikas? Die erste Datierung stützte sich auf die Artefakte, mit denen zusammen er gefunden worden war: Keramikscherben, Fragmente von Lehmfigurinen und Stücke von Steinobjekten. All diese Artefakte stammten eindeutig aus der San Lorenzo-Zeit zwischen 1200 - 900 v.Chr. Es gab jedoch auch Stimmen unter anderen Wissenschaftlern, die diese zeitliche Einordnung kritisierten. Der Stein, so warfen sie ein, war nicht innerhalb einer professionellen Ausgrabung durch Archäologen gefunden worden und somit "in situ", sondern von Arbeitern des Steinbruchs. David Grove meinte, der Stein sehe aus wie eine Fälschung, weil die Schriftzeichen in horizontalen Reihen angeordnet sind, was absolut unüblich sei für mittelamerikanische Texte (10).
Doch eine Fälschung kann nach Meinung des Teams um Carmen Rodriguez ausgeschlossen werden. Die Forscher analysierten den Stein in den Labors des Instituts gründlich und fanden Anzeichen für Verwitterung und Mineralisation an den Gravurlinien. Die beschriftete Oberfläche zeigt verschiedene Patina. Richard Diehl sagte, stellvertretend für das Team: "Meine Kollegen und ich sind absolut darin übereinstimmend, dass der Stein authentisch ist." (6) Man könne davon ausgehen, dass die Schrift auf dem amerikanischen Kontinent ihren Anfang nahm an der mexikanischen Golfküste, dort, wo die Olmeken nach ihrem Kultursprung San Lorenzo errichteten und eine erste Kulturphase durchlebten. Zu dem Forschungsergebnis passt auch die Tatsache, dass der Stein in unmittelbarer Nähe von San Lorenzo gefunden wurde.
Warum aber wurden nicht mehr Schriftbeispiele aus der Zeit von San Lorenzo gefunden? Die Archäologen meinen, das liege vermutlich daran, dass in der Regel auf Holz oder Rindenpapier geschrieben wurde, Materialien, die nicht bis heute überdauern konnten. Dass die Olmeken mit Holz arbeiteten, zeigen die Büsten, die man nahe San Lorenzo in einem Brunnen von El Manati gefunden hat - die einzigen Holzartefakte der Olmeken. Diese haben allesamt einen unnormal langen Schädel, wie wir ihn von unseren Schädeln nicht kennen, und wie ihn die Olmeken ab San Lorenzo wieder und wieder auf Stein und als Figurine dargestellt haben. Fakt ist: vor dem Kultursprung und dem Bau von San Lorenzo wurden keine "Langschädler" dargestellt, obwohl die Steinzeitbauern schon Figurinen aus Lehm herstellten. Das Motiv tauchte gleichzeitig mit dem Kultursprung auf, so wie auch das des sog. Jaguarmenschen. Eine sehr gewagte Spekulation wäre nun diese: wurden hier die unbekannten Masterplaner portraitiert, die den Steinzeitbauern zu einem Kultursprung verhalfen? Die Holzbüsten von El Manati hatten offenbar nur deshalb überdauert, weil sie im Wasser und Schlamm liegend konserviert worden waren (11).
Es mag jedoch mehr Schriftbeispiele dieser Art geben, die man erst jetzt nach dem Fund des Cascajal-Steins einzuordnen weiß. So sagte Stephen Houston: "Meine Kollegen und ich fanden kürzlich eine kleine Lehmfigur von menschlicher Gestalt, auf deren Rücken Zeichen derselben Schrift waren wie auf dem Cascajal-Stein, deren Bedeutung wir nicht erkennen konnten vor dieser Entdeckung." (6) Houston ist der Meinung, dass der Mangel analysierter olmekischer Schriftzeichen aus dieser Zeitepoche zurückgehen könne auf die Tatsache, dass in der Region um San Lorenzo und dessen zeitgleiche Außenposten erst relativ wenig ausgegraben wurde (7).
Was den Cascajal-Stein so aufregend macht, ist die Tatsache, dass man es hier mit einer völlig neuen Schrift zu tun hat, die nicht verwandt ist mit anderen bekannten Schriften Mittelamerikas. Diese Schrift, und jetzt wird es wirklich spannend, wurde nur und ausschließlich während der San Lorenzo-Zeit der Olmeken angewandt. Weder gibt es irgendwelche Anzeichen darauf, wo sich diese Schrift entwickelt haben kann - sie war anscheinend genau so plötzlich einfach da wie die Kenntnisse der Olmeken in Architektur, Mathematik, Astronomie, Geometrie, Vermessungstechnik. Logistik usw. -, noch hat sich diese Schrift ausgebreitet und weiterentwickelt. In La Venta - also ab ca. 900 v.Chr. - wurde so eine Schrift nicht mehr angewandt.
Die Archäologen finden es mysteriös, dass diese Schrift offenbar nur während der San Lorenzo-Zeit der Olmeken benutzt wurde. So gesehen ist die Schrift auf dem Cascajal-Stein ein weiteres Mosaiksteinchen im Bild über den rätselhaften Kultursprung der Olmeken. In meinem Artikel "Das Rätsel von San Lorenzo" (5) habe ich bereits gezeigt, dass ein solcher Kultursprung, bei dem Steinzeitbauern von einem Tag auf den anderen anfingen, eine vorgeplante Reißbrettstadt zu erbauen, in Werkstätten merkwürdige Massenartikel herzustellen und all ihre Bauten astronomisch miteinander zu vernetzen, nicht vorstellbar ist ohne höherstehende uns unbekannte Masterplaner, die diesen Kultursprung auslösten. Ebenso plötzlich, wie San Lorenzo begann, endete es auch wieder: abrupt und aus uns unbekanntem Grund.
Und nun sieht es so aus, als habe auch die Schrift ebenso plötzlich begonnen und sei nach dem Ende von San Lorenzo nie mehr angewandt worden. Die Schriftbeispiele aus La Venta sind von ganz anderer Art und sind keine Nachfolger der Zeichen des Cascajal-Steins. Komisch ist nur, dass in La Venta Hunderte und Aberhunderte schreibblockgroßer rechteckiger Serpentintafeln hergestellt wurden. Statt darauf zu schreiben, vergruben sie die Olmeken systematisch und wohlgeordnet an verschiedenen Stellen mehrere Meter tief unter dem Erdboden mitten in der Stadt an Stellen, die zum mathematisch-astronomisch ausgerichteten Layout passen.
Die Archäologen, die sich mit dem Cascajal-Stein befassten, sind sich darin einig, dass sich mit diesem Aspekt das Verständnis der Olmekenkultur radikal verändere. Dieser Fund gibt ganz neue Impulse für die Erforschung der Olmeken. Michael Coe schwärmte: "Alles, was wir mesoamerikanisch nennen, begann mit den Olmeken." Für den Kultursprung selbst aber haben die Archäologen absolut keine Erklärung. Niemand weiß, woher das plötzliche Know how für Architektur, Astronomie usw. kam, und niemand weiß nun, wo oder wie diese Schrift entwickelt wurde. Offenbar war sie genauso "einfach da" wie all die anderen Aspekte des Kultursprungs.
Ich möchte noch einen Schritt weitergehen als Michael Coe und sagen: Alles, was wir mesoamerikanisch nennen, begann mit einem plötzlichen und von unbekannten, hochstehenden Initiatoren ausgelösten Kultursprung.
Meiner Meinung nach wirft der Fund des Cascajal-Steins nicht mehr Licht auf den Beginn der Olmekenkultur, sondern macht diesen noch rätselhafter. Für Mary Pohl, die damals den Rollzylinder und die Grünsteinfragmente fand, ist dieser Fund "eine wichtige Entdeckung von großer Signifikanz" und bedeutet eine Bestätigung ihrer damaligen Vermutung: Von Anfang an hatten - nicht entwickelten und benutzten die Steinzeitbauern nach ihrem Kultursprung eine Schrift.
Die Archäologen, die den Cascajal-Stein analysierten und erforschten, wollen nun in der Region um San Lorenzo nach weiteren Schriftbeispielen suchen und graben. Insgeheim hoffen einige von ihnen darauf, eines Tages eine Art Gegenstück zum Rosetta-Stein zu finden, der bekanntlich bei der Entzifferung der ägyptischen Hieroglpyhen half.
Hoffen wir Paläo-SETI-Forscher mit ihnen. Wer weiß, welche Bedeutung der Inhalt des Textes auf dem Cascajal-Stein für unsere Forschungsrichtung haben könnte?
Literatur:
1 = Pohl, Mary / Christopher von Nagy / Allison Perret / Kevin Pope: Olmec Civilization at San Andres, Tabasco, Mexico. Report for the Foundation of the Advancement of Mesoamerican Studies, Inc., August 2004
2 = Pohl, Mary / Kevin Pope / Christopher von Nagy: Olmec Origins of Mesoamerican Writing. www.anthro.fsu.edu/research/meso/Pohltext.doc
3= www.BelizeFreePress.com/news 8. Dezember 2002
4 = Kent, Reilly III. F.: Olmec Iconographic Influence on the Symbols of Maya Rulership. 6th Round Table: Olmec Influence on Maya. www.mesoweb.com/pari/publications/RT08/14olmec/text.html
5 = Ermel, Gisela: Das Rätsel von San Lorenzo. In: Sagenhafte Zeiten, Nr. 2, Beatenberg 2006
6 = Choi, Charles Q.: Oldest New World Text Found. 14. September 2006,
7 = Abramson, Anna: Anthro Prof Helps Date Oldest Writing Sample in Western Hemisphere. In: The Brown Daily Herald, 3. Oktober 2006
8 = Skidmore, Joel: The Cascajal Block: Earliest Precolumbian Writing.
10 = Oldest Writing in New World Discovered, Scientists Say. In: National Geographic News,
14. September 2006
11 = Ortiz, Ponciano / M. del Carmes Rodriguez: Olmec Ritual Behavior at El Manati: A Sacred Space. In: David Grove / Rosemary A. Joyce: Social Patterns in Pre-Classic Mesoamerica. Washington D.C. 1999
Mehr zum Thema Mittelamerika, Kultursprung, Olmeken usw.:
Ancient Mail Verlag, Groß Gerau 2007
ISBN 978-3935910446
278 Seiten, zahlreiche Abbildungen
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