Montag, 12. Januar 2009

Fat Boys

Gisela Ermel

Rätselhafte Monumente der Olmeken und Maya

In: Q'Phaze, Nr. 8, Kassel 2007



Die prähistorische Vergangenheit Mittelamerikas weist viele noch ungelöste Rätsel auf und bietet Material für verschiedenste Spekulationen und Hypothesen. Eines dieser Rätsel bilden die sogenannten Fat Boys. Es handelt sich um riesige Monumentalskulpturen mit seltsamen magnetischen Eigenschaften, die aus Basaltfelsblöcken hergestellt wurden. Gefunden wurden diese Skulpturen an Stätten wie Monte Alto, El Baúl, Chocola und Abaj Takalik - allesamt sehr frühe olmekische Orte nahe der Pazifikküste Guatemalas.

In den 1940er Jahren gruben Archäologen und ihre Helfer in der Ausgrabungsstätte Monte Alto und den nahegelegenen Regionen von La Democracia und El Baúl merkwürdige Steinmonumente aus. Es waren große abgerundete Felsblöcke, meist von ca. 1,5 m Durchmesser, die zu Köpfen oder runden Körpern verarbeitet worden waren. Die Gesichter wirkten wie aufgedunsen, die Körper korpulent, um es vorsichtig auszudrücken. Die Archäologen sprachen schon bald von "Fat Boys" oder auch von "Potbellies" (Dickbäuchen). Die Köpfe schienen sich zu ähneln, individuelle Züge wie bei den berühmten Kolossalköpfen der Olmeken schien es jedoch nicht zu geben. Die Körpermonumente hatten die Arme um den feisten Wanst geschlungen, so dass die Finger der Hände sich fast berühren. Beine und Füsse waren ähnlich dargestellt. Geschlechtsmerkmale waren nicht zu erkennen. Die Künstler hatten die Felsblöcke nur minimal bearbeitet, alles wirkte sehr rudimentär.

Was sollten diese Monumente darstellen? Man hatte keine Ahnung. Herrscher? Waren die lebenden Vorbilder fett gewesen? Hatte Fettheit als Schönheitsideal gegolten? Oder waren die Bildhauer nur zu faul gewesen, mehr Material abzutragen? What ever - hier hatte man wahrlich komische Burschen ans Tageslicht befördert. Man ahnte noch nicht, dass diese Fat Boys ein Geheimnis in sich bargen, das diese Monumente noch rätselhafter machte.



Einer der Fat Boys, gefunden in Monte Alto



Fat Boy in Kopfform - ebenfalls gefunden in Monte Alto


1979 entdeckte ein Student, der dem Archäoastronomen Vincent Malmström assistierte, nahe Monte Alto durch puren Zufall die magnetischen Eigenschaften von einem der Fat Boys, da er während seiner Arbeit einen Kompass um den Hals trug. Jedesmal, wenn er den Kompass einer bestimmten Stelle des Monuments näherte, wurde die Nadel abgelenkt. Schon einige Jahre zuvor hatte Malmström in Izapa magnetische Eigenschaften an einem Monument in Form eines Schildkrötenkopfes entdeckt - ebenfalls durch Zufall - und über mittelamerikanische Kenntnisse über Magnetismus spekuliert.

Im selben Jahr entdeckten Malmström und seine Studenten ein weiteres Monument mit magnetischen Eigenschaften im nahen El Baúl. Das Monument zeigte zwei Männer, die im Schneidersitz auf einer Bank sitzen, die Arme vor der Brust gekreuzt. Beide Männer wiesen magnetische Pole auf an den Stellen, wo sich die Arme kreuzten, während sich unter der Bank die beiden Gegenpole befanden. Die Entdeckung des "magnetischen Fat Boy" und dieser Skulptur sorgte für große Überraschung in der Fachwelt und Presserummel, vor allem, als sich herausstellte, auf wie uralt die Fat Boys geschätzt wurden. Das TIME Magazin brachte am 3. September 1979 den Artikel "Fat Boys: A Pre-Columbian Mystery" heraus, gekrönt von der Schlagzeile: "Fat Boys 4000 Years Old!"

Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die meisten Fat Boys magnetische Eigenschaften aufweisen. Dazu wurde jedoch kein magnetisches Material hinzugefügt, sondern die Monumente haben an diesen Stellen in sich magnetisches Material, wahrscheinlich Einschlüsse von Magnetit oder anderem Eisenerz, aussen am Gestein ist jedoch nichts davon zu sehen. Diese Stellen an den Monumenten sind stark genug, um eine Kompassnadel zu bewegen. Sie weisen zwei entgegengesetzte Pole auf, beide Stellen meist etwa zehn Zentimeter voneinander entfernt. Befindet sich an diesen Stellen jeweils ein u-förmiges Magnetfeld im Innern des Gesteins? Das sensationellste jedoch an diesen Fat Boys ist die Tatsache, dass diese magnetischen Pole bewusst oder absichtlich gut platziert in die Monumente integriert wurden. Bei den Köpfen trägt die rechte Schläfe einen magnetischen Pol, die Kraftfeldlinie betritt hier den Kopf direkt über dem Ohr und kommt als Gegenpol unter dem Ohr wieder heraus. Bei den Körpern liegen die beiden entgegengesetzten Pole stets links und rechts neben dem Bauchnabel. Eine Ausnahme bilden Skulpturen wie die beiden sitzenden Männer von El Baúl. El Baúl bietet noch einen steinernen aufgerichteten Jaguar, der an beiden Pranken magnetische Pole aufweist, aber keine Gegenpole.



Jaguar aus El Baúl mit magnetischen Eigenschaften


Warum wählten die Hersteller der Fat Boys just diese Stellen am Ohr oder am Nabel? Niemand hat eine Ahnung. Ein Zufall ist jedoch so gut wie ausgeschlossen. Viele Archäologen debattieren nun darüber, ob den Künstlern überhaupt bewusst gewesen sei, dass hier Magnetismus herrscht. Wie konnten die Steinzeitmenschen über das Wissen stolpern, dass in den Basaltfelsblöcken magnetisches Eisenerz enthalten ist? Bemerkte zufällig ein Steinbearbeiter, wie leichte Staubpartikel während des Bearbeitens des Felsblockes von einer bestimmten Stelle angezogen bzw. abgestossen wurden? So möchten es sich gerne etliche Archäologen vorstellen. Viel eher war es jedoch so, dass diese Felsblöcke bewusst ausgewählt und so bearbeitet wurden, dass die magnetischen Pole des eingeschlossenen Eisenerzes an die vorausgeplanten Stellen zu liegen kamen. Doch wie fanden die Hersteller die richtigen Felsblöcke? Die magnetischen Stellen waren von aussen ja nicht erkennbar. Und warum wurden überhaupt diese mit Plus- und Minus-Pol ausgestatteten Fat Boys und Potbellies hergestellt?

Inzwischen wurden weitere magnetische Fat Boys gefunden in El Salvador, Hueyapan de Trimendes, Tuxtla Chica nahe Izapa, Kaminaljuyu, Santa Leticia, Seibal und Tres Zapotes. Die weitaus meisten Monumente stammen jedoch aus der Pazifikküstenregion von Monte Alto, El Baúl und La Democracia. Heute stehen vor dem Museum von La Democracia elf Fat Boys, arrangiert in zwei Reihen entlang des Vorplatzes, während ein zwölfter neben dem Eingang des Gebäudes steht.

Fat Boy aus Abaj Takalik


Fat Boy vor dem Museum in La Democracia

Die Datierung dieser Monumente ist schwierig, da die Objekte offenbar mehrmals den Standort wechselten. Einige Archäologen vermuten, dass die ersten Fat Boys schon aus der Zeit San Lorenzos stammen, wo ca. 1200 v. Chr. ein abrupter Kultursprung stattfand vom Steinzeitbauern zur Hochkultur. (s. dazu meinen Artikel "Das Rätsel von San Lorenzo"). Das Alter der Fat Boys steht noch nicht genau fest.

Laut Lehrbuch kannten die Griechen ab dem 5. Jh. v.Chr. den Magnetismus, und ein chinesisches Manuskript von 121 v.Chr. spricht von einem "Stein, der eine Nadel in eine andere Richtung lenken kann". Kannten die Olmeken schon lange vorher die magnetischen Eigenschaften von Eisenerz? Benutzten sie eventuell kompassartige Hilfsmittel beim Bau der Städte und ihrer Lokalisation? Oder war das Wissen um Magnetismus und dessen praktische Anwendung im Bauwesen Teil der Kenntnisse, die unbekannte Masterplaner den Steinzeitbauern vermittelten, als der Kultursprung stattfand? Ein kompassartiges Hilfsmittel wäre bei all dem, was nach dem Kultursprung in Mittelamerika auf die Beine gestellt wurde, enorm hilfreich gewesen.

Für die frühe und plötzlich wie aus dem Nichts aufgekommene Kultur der Olmeken ebenso wie für die etwas späteren Kulturen der Maya und viel späteren Teotihuacanos war ein Aspekt von ganz besonderer Bedeutung: die Astronomie. Wie wichtig dieser Aspekt war, fangen die Fachleute gerade erst an zu begreifen. Einige Archäologen vermuten, dass ein astronomisches Beziehungsgeflecht alle olmekischen Stätten sowohl als auch die der Maya und späteren Teotihuacanos zu einem miteinander verbundenen Ganzen umfasst. Dieses astronomische Muster besteht aus Linien, die sich nach den kardinalen Richtungen oder nach bestimmten Sonnendaten richten. Linien, auf denen mehrere Städte liegen, führen auf einen Punkt am Horizont hin, an dem zu einem der Sonnwend- oder Equinox-Daten die Sonne auf- oder unterging.

Erstaunlicherweise wurden die Städte, die auf solchen Linien miteinander quasi unsichtbar verbunden sind, nicht in denselben Zeitepochen erbaut. Verband ein Langzeitplan mehrere Völker und mehrere Zeiten miteinander? Wer aber sollte einen solchen Gesamtplan entworfen und überwacht haben? Offenbar wurde noch Tenochtitlan, die letzte große Stadt Mittelamerikas vor der Eroberung durch die Spanier, diesem Plan entsprechend lokalisiert und erbaut. Mysteriöserweise wurden die Azteken von einem sprechenden "Heiligen Bündel" über zweihundert Jahre lang kreuz und quer durch Mexiko geführt, bevor sie dann nach genauer göttlicher Anweisung an von ihrem Gott Huitzilopochtli festgelegtem Ort die Stadt Tenochtitlan gründeten und erbauten. (s. dazu meinen Vortrag "Das Heilige Bündel") Offenbar ist auch Tenochtitlan durch astronomische Linien mit uralten Orten verbunden, unsichtbaren Linien, die erst unsere moderne Archäoastronomie beginnt, sichtbar zu machen.

Im alten Mittelamerika wurde offenbar nichts dem Zufall überlassen. Für den Bau der Städte - beginnend mit San Lorenzo um ca. 1200 v.Chr. - mit ihrem Reissbrett-Layout, den astronomisch ausgerichteten Bauwerken, Monumenten und Hauptachsen waren nicht nur die Kenntnisse nötig für das Erbauen all der Plattformen, Pyramiden und Gebäude, sondern auch Kenntnisse in Mathematik, Astronomie, Geometrie, Trigonometrie, Geographie, Kartographie und vieler anderer Wissensgebiete, ganz abgesehen von der nötigen Logistik, Planung, Organisation und Kontrolle. Hatte man damals einfache Vermessungsinstrumente? Oder benutzte man eine primitive Form des Kompass? Oder überliess man das Vermessen den unbekannten Masterplanern, ohne die der Kultursprung vom Steinzeitbauern zur Hochkultur der Olmeken gar nicht denkbar ist?

Die Archäologen P. Krotser und Michael Coe fanden in San Lorenzo einen stabförmigen Gegenstand aus poliertem Eisenerz von 2,5 cm Länge. Dies Artefakt "M 160" wurde, so ergaben eingehende Untersuchungen, um ca. 1000 v.Chr. hergestellt. Michael Coe vermutet, es könne sich um einen primitiven Stabmagneten handeln. Bisher galt die Annahme, dass im alten Mittelamerika kein zweckdienlicher Gebrauch des Magnetismus bekannt gewesen sei. Man traute den Menschen der damaligen Zeit das Wissen um das Magnetfeld der Erde nicht zu. Oder sollten die Olmeken Magnetismus zwar gekannt, ihn aber nur als rätselhafte übernatürliche Kraft angesehen haben? Gegen diese Annahme spricht meiner Ansicht nach die ausgefeilte und komplizierte Astronomie-Architektur sowie das vermutete astronomische und kardinale Liniennetz eines Langzeitplans.

Wie die Fat Boys hier hineinpassen, ist noch völlig unklar. Dass sie gerade in Städten wie El Baúl vorkommen, wo das berühmte Monument 27 - die "Figur mit dem Raumfahrerhelm" - gefunden wurde, lässt vermuten, dass in der Vergangenheit Mittelamerikas Dinge geschahen, die die etablierte Archäologie noch nicht in Erwägung gezogen hat. Ein Kontakt zwischen Steinzeitmenschen und ihnen kulturell und technologisch überlegenen Besuchern? Die Ikonographie Mittelamerikas bietet zu diesem Szenario zahlreiche weitere Hinweise: Götter in Vogelverkleidung, Personen in den Rachen Fliegender Schlangen, vom Himmel herniederkommende Götter, Personen mit unnormal langen Schädeln und vieles mehr.

Monument 27 in El Baúl - der berühmte "Astronaut"

Literatur:


Carlson, J. B.: Lodestone Compass: Chinese or Olmec Primacy? In: Science, Vol. 189, Nr. 4205, 1975


Coe, Michael / Richard Diehl: In the Land of the Olmec. Austin, Texas, 1980


Coe, Michael: San Lorenzo and the Olmec Civilization. Washington, D.C., 1970


Ermel, Gisela: Das Heilige Bündel der Azteken. Gross-Gerau 2007


Fuson, R. H.: The Orientation of Mayan Ceremonial Center. Annals of the Association of American Geographers, Nr. 59, 1969


Malmström, Vincent H.: Knowledge of Magnetism in Pre-Columbian Mesoamerica. In: Nature, Vol. 259, Nr. 5542, Februar 1976


Malmström, Vincent H.: Land of the Fifth Sun: Mexico in Space and Time. Hannover, New Hampshire 2002


Malmström, Vincent H. / Paul A. Dunn: Pre-Columbian Magnetic Sculptures in Western Guatemala. www.dartmouth.edu/~izapa/M-11pdf


Morante, Ruben: Los alineamientos magicos de las piramides mesoamericanas. Jalapa 1986


Nowotny, Karl A.: Tlacuilolli. Monumenta Americana II, Berlin 1961


Palmeros, Rafael A.: The Magical Alignments of the Mexican Pyramides. www.geocities.com/NEXPLICATA2000/issue4/1.htm


Parsons, Lee A.: Excavation of Monte Alto, National Geographic Society Research Reports: 1968 Projects. Escuintla 1976


Shook, Edwin M. / Marion Popenoe de Hatch: Archaeological Study of Monte Alto, Guatemala, and Preclassic Cultures on the Pacific Coast, 1972-77. National Geographic Society Research Reports 13, Escuintla 1981


Taube, Karl A.: Olmec Art at Dumbarton Oaks. Washington, D.C., 2004


The Fat Boys: A Precolumbian Mystery. TIME- Magazine, 3. September 1979




Mehr zum Thema:


Gisela Ermel:

Das Heilige Bündel der Azteken.

Kultursprung, Masterplan und Götterstimmen: Mittelamerikas rätselhafte Vergangenheit.

Ancient Mail Verlag, Gross-Gerau 2007

ISBN 978-3-935910-57-6

272 Seiten, zahlreiche Abbildungen







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